Wenn sich Mythos hartnäckig in der Fitness- und Bodybuilding-Szene hält und Generationen überdauert dann der, dass man beim Verzehr von Milchprodukten aufpassen muss, da diese für eine übermäßige Ablagerung von Wasser unter der Haut (also quasi im Bindegewebe) sorgen sollen.
Ganz besonders hart trifft diese Aussage natürlich alle Wettkampfbodybuilder, denn wenn jemand es sich nicht leisten kann mit dicker, aufgedunsener Haut die Wettkampfbühne zu betreten dann er. Aus diesem Grund meidet so gut wie jeder Wettkampfbodybuilder wenigstens einige Wochen vor dem Wettkampf prophylaktisch die Aufnahme von Milchprodukten aller Art und ersetzt diese durch andere Proteinquellen wie Fleisch, Fisch oder Hühnereiweiß. Die Wenigsten haben den Selbstversuch unternommen und getestet, ob das Phänomen der dicken Haut durch Milchprodukte bei Ihnen tatsächlich auftritt. Man vertraut einfach auf das was schon immer und von allen Seiten so propagiert wird, auch wenn man sich dadurch möglicherweise das Leben unnötig schwer macht.
Wettkampfbodybuilding ist die eine Sache aber auch im Freizeit- und Breitensport machen sich Athletinnen und Athleten über die „Milchprodukt-These“ Gedanken und verzichten so ebenfalls in vielen Fällen mal auf deren Verzehr, so wie Sie es auch für Salz tun, da ja auch Salz einen „aufschwemmen“ läßt!
Eine wirklich sehr interessante Frage ist die nach den Wurzeln des „Milchprodukte-Mythos“. Ich möchte mich heute darum mit einigen möglichen Gründen befassen, warum die Bodybuilding-Szene fälschlicherweise glaubt, dass man Milchprodukte allgemeinverbindlich für „Wasser unter der Haut“ verantwortlichen machen kann.
Viel Spaß
Milchprodukte enthalten viel Natrium
Mit der ersten These bringe ich die in der Einleitung genannten beiden Mythen gleich zusammen. Milchprodukte könnten vermehrt Wasser unter der Haut speichern, da sich in Ihnen eine Menge Natrium versteckt. Von Natrium weiß man, dass es sich eher außerhalb der Zelle aufhält und das es Wasser anzieht/bindet, ergo liegt der Schluss auch relativ anzunehmen, dass zu viel Milch zu viel Natrium liefert und sich dies neben einem Anstieg des Blutdrucks auch auf die Hauteigenschaft auswirkt und zwar in der Form, dass diese eine dicke und wässerige Optik bekommt.
Die Wahrheit
Der Natriumgehalt in Milch liegt bei etwa 45-55mg pro 100ml bei einem gleichzeitigen Kaliumgehalt pro 100ml von etwa 150mg. Beide Elektrolyte besitzen eine entgegengesetzte Wirkung, Sie antagonisieren sich sozusagen d.h. sofern Natrium Wasser aus der Zelle unter die Haut zieht, müsste Kalium dies zu verhindern wissen und genau das Gegenteil bewirken. Im Falle von Milch müsste zweitgenanntes sogar sehr effektiv stattfinden, da in etwa 3x mehr Kalium in 100ml Milch enthalten ist als Natrium.
Eiprotein als Beispiel für einen anderen Proteinlieferanten wurde noch nie verdächtigt Wasser unter der Haut zu speichern, liefert aber pro 100g 170mg Natrium bei gerade Mal 154mg Kalium, was einem zwar leichten aber immerhin vorhandenen Natriumüberschuss gleich kommt, in jedem Falle aber ein deutlich natriumlastigeres Na/Ka-Verhältnis darstellt als dies bei Milch auftritt.
Fazit
These 1 ist für die Katz! Milchprodukte liefern zum ersten deutlich weniger Natrium als andere Proteinvertreter und enthalten zudem einen stark kaliumlastigen Na/Ka-Quotienten.
Milchallergien sind Schuld
Milch besteht neben Wasser hauptsächlich aus einem gewissen Anteil Fett, Kohlenhydraten und einer moderaten bis hohen Menge Protein. Beim Milchprotein wird der Anteil Casein (ca. 80%) vom Anteil Molkenprotein, auch genannt Wheyprotein, (ca. 20%) unterschieden. Bei Molkenprotein handelt es sich um den wasserlöslichen Bestandteil des Milcheiweißes der den hauptsächlichen Bestandteil an Beta-Lactoglobulin und Alpha-Lactoglobulin des Milchproteins beinhaltet. Beide, hauptsächlich aber Beta-Lactoglobulin, bergen ein erhöhtes Allergiepotential.
Wer nun allergisch auf diese Bestandteile der Milch reagiert, kann möglichweise als Symptomatik tatsächlich eine vermehrte Einlagerung von Wasser im extrazellulären Raum dadurch aufweisen. Tatsächlich ist die Zahl derer, die an einer Milcheiweißallergie leiden keinesfalls unerheblich
ABER
Derjenige der mit Alpha- und Beta-Lactoglobulin einwandfrei zu Recht kommt und keinerlei allergische Reaktionen zeigt, hat diese Auswirkung nicht zu befürchten.
Fazit
These 2 kann für all diejenigen zutreffen bei denen eine mehr oder weniger starke Milcheiweiß-Allergie vorliegt. In diesem Fall handelt es sich jedoch um ein individuelles Problem und keinesfalls um einen Grund der es rechtfertigt, Milchprodukte generell für Wasser unter der Haut verantwortlich zu machen.
Milchzucker als Quelle allen Übels
Auch mit Milchzucker haben viele Menschen Schwierigkeiten. Nicht umsonst gibt es inzwischen eine eigene „L-Minus“-Industrie die laktosefreie Varianten zu beinahe jedem Milchprodukt anbietet.
Bei Milchzucker (Laktose) handelt es sich um eine milchspezifische Zuckerart, einen Zweifachzucker bestehend aus D-Galactose und D-Glucose, dessen Bindung vom Enzym Laktase gelöst werden muss, damit ein Übertritt ins Blut erfolgen kann.
Unter Milchzuckerunverträglichkeit versteht man einen Mangel am Enzym Laktase der dazu führt, dass besagte Spaltung nicht oder nicht vollständig stattfindet. Die ungespalteten Laktose-Reste sammeln sich im Darm an, gären und so kann es zu Symptomen wie Durchfall, Völlegefühl, Blähungen, Bauchkrämpfen, Übelkeit, Migräne, Schwächeanfällen oder Erbrechen kommen. Probleme mit dem Magen-Darmtrakt sind in vielen Fällen mit Flüssigkeitsverschiebungen im Körper verbunden, was auch in diesem Fall ein möglicher Grund sein könnte, warum es individuell zu einer Veränderung des Flüssigkeitsstandes im Bindegewebe kommen kann.
ABER
Auch diese Erscheinung unterliegt der Individualität der Person und darf nicht als allgemeinverbindliches Argument gegen Milchprodukte angeführt werden.
Anders als bei Milcheiweißunverträglichkeit hat man im Falle der Laktoseunverträglichkeit inzwischen zudem die Möglichkeit, sich laktosefreier Varianten zu bedienen, bei denen die enzymatische Spaltung des Milchzuckers noch Teil des Herstellungsverfahrens im Milchwerk ist und so nicht mehr vom Körper übernommen werden muss. Letztlich nimmt man hier dann Glucose und Galactose in Reinform auf, die dann ohne Umwege den Darm passieren können. Eine andere Möglichkeit ist die parallele Gabe einer Laktase-Ergänzung zur Aufnahme eines Milchproduktes als Ausgleich zur mangelnden Eigenenzymkapazität.
Fazit
These 3 richtet sich an alle die Probleme mit der Spaltung von Milchzucker haben. Für Sie kann die Aufnahme von Milchprodukten teilweise schon geringer Mengen Schwierigkeiten bereiten und unter Umständen auch zu Flüssigkeitsverschiebungen führen. Wer keine Probleme mit seiner Laktase-Kapazität hat, laktosefreie Produkte verzehrt oder zu Milchprodukten eine Laktase-Ergänzung einnimmt, muss diesbezüglich keinerlei negativen Effekt mit der Aufnahme von Milchprodukten befürchten.
Calcium ist verantwortlich für dicke Haut!
Auch um den hohen Calciumanteil um Milch gibt es immer wieder rege Diskussionen dahingehend, ob eine Aufnahme von Calcium über Milch überhaupt möglich ist und ob es durch Unregelmäßigkeiten in Sachen vermehrte Ausscheidung und damit verbundene Flüssigkeitsverschiebungen auch zu einer Ansammlung von Wasser unter der Haut kommen kann.
Im Rahmen einer Untersuchung der ETH Zürich wurde zweifelsfrei bewiesen, dass Calcium aus Milch absorbiert werden kann. Regelmäßiger Milchkonsum erhöht auch die Knochendichte!
Es existieren Studien die mit erhöhter Gabe von isoliertem Protein eine gesteigerte Calciumausscheidung über den Urin feststellen. Mit Schuld an diesem Effekt ist die von Proteinen ausgehende Säurebelastung. Ein Überaufkommen an isoliertem Protein kann aus diesem Grund die Calciumbalance stören. In der Milch enthaltene Caseinphosphopeptide wirken sich jedoch günstig auf die Absorption aus und sorgen sogar für eine hohe Bioverfügbarkeit des Calciums aus Milch. In Milchprodukten enthaltenes Phosphor stimuliert den Einbau von absorbiertem Calcium in die Knochen genauso wie enthaltenes Vitamin D hierfür benötigt wird. Änderungen der Phosphoreinnahme im normalen Rahmen zeigen keinen negativen Einfluss auf das Calciumgleichgewicht, zu viel Phosphor trägt allerdings zu einer vermehrten Calciumausscheidung bei, dies jedoch nicht in der Menge wie es in Milchprodukten enthalten ist. Milchzucker wirkt sich erst in hohen Dosen ab etwa 50g pro Tag möglicherweise negativ auf die Calciumbalance aus. Am ehesten geht eine Beeinflussung des Calciumverlustes von einer erhöhten Zufuhr an Natrium aus, während Kalium diesen wieder reduziert. Milchfett und sonstige Nahrungsfette haben keinen Einfluss auf die Calciumabsorption.
Fazit
Unterm Strich gibt es keine Verweise darauf, dass übermäßige Flüssigkeitsverschiebungen durch eine schlechte oder nicht stattfindende Calciumabsorption aus Milchprodukten eintreten können. Die Zusammenhänge einer solchen These sind meiner Meinung nach sowieso sehr wage, dennoch hört und liest man es immer wieder.
Wachstumsfaktoren in der Milch sorgen für Wasser unter der Haut
Inzwischen gilt als bewiesen, dass Produkte auf Molkenproteinbasis eine Erhöhung der Plasmakonzentration anaboler Hormone wie Insulin und IGF-1 zur Folge haben und das Kuhmilch bioaktive Wachstumsfaktoren wie IGF-1, IGF-2, Betazellulin und Prolaktin enthält. Steigerungen von IGF-1wurden bei Erwachsenen im Bereich von 10-20% beobachtet. Was sich für die Muskelproteinsynthese erst einmal sehr gut liest, wird zum einen als Ursache für Veränderungen der Größenentwicklung bei Kindern und zum anderen von Hautexperten als Auslöser für Akne postituliert, da die Androgene ein Wachstum der Talgdrüsen und der hornbildender Zellen (Keratinozyten) auslösen. In Verbindung mit der Aufnahme von Kohlenhydraten und dem bestehenden hohen Insulin-Index von Milchprodukten potenziert sich die Wirkung, je mehr Insulin gleichzeitig aus der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet wird.
In diesem Zusammenhang stellen Forscher derzeit auch Verbindungen zwischen einer Entstehung von Akne, der Ausbildung von Entzündungen und letztlich der Entstehung einer Insulinresistenz her, da die für Akne verantwortlichen Substanzen auch die Bereitstellung von GLUT-4-Transportern in den Zellen hemmen und so eine Insulinresistenz fördern können.
Fazit
Forscher sprechen von Veränderungen der Größenentwicklung bei Kindern und einem vermehrten Aufkommen von Akne-Patienten in Verbindung mit einem hohen Milchkonsum, nicht aber davon, dass es in diesem Zuge zu einer vermehrten Ansammlung von Wasser unter der Haut (oder anderen Flüssigkeitsverschiebungen) kommen kann.
Resumee
Bis zum heutigen Tage bleibt die Frage nach dem tatsächlichen Ursprung dieses Mythos ungelöst. Keiner der von mir untersuchten möglichen Thesen lässt die allgemein verbindliche Aussage zu, dass generell jeder mit dem Verzehr von Milchprodukten dahingehend ein Problem hat, dass er damit Wasser unter Haut einlagert.
Abschließend kann ich Euch als Tipp mit auf den Weg geben, es mit der Aufnahme von Milchprodukten nicht zu übertreiben um nicht in die missliche Lage eines Laktase-Mangels zu kommen. Wem Milchprodukte jedoch gut tun, sollte Sie unter keinen Umständen aufgrund irgendwelcher Mythen ohne Hintergrund meiden, sondern weiterhin verzehren und von den vielfältigen Vorteilen profitieren, die von Milch ausgehen.
Sportliche Grüße
Euer
Holger Gugg