Liebe Leserinnen und Leser,
es gibt ein paar Dinge die so gut wie jeder über Ernährung weiß.
„Fett macht Fett“
„Zuviel Eiweiß ist schlecht“
„Keine Kohlenhydrate ab 18.00 Uhr“
3 wirklich kluge Ratschläge…könnte man meinen…aber obwohl alle 3 zum einen sehr verallgemeinert und zum anderen teilweise sogar falsch sind, haben Sie sich über die Jahre in einer Menge Köpfe verankert.
Die Folge davon sind fettarme, proteinarme und kohlenhydratreiche Mahlzeiten untertags und nur noch kaum Nahrung abends. Die magische Grenze für Kohlenhydrate ist 18.00 Uhr!
Wer sich als Sportler an diese Regeln hält, kommt spätestens dann das erste Mal in Bedrängnis wenn er erst gegen abends Zeit für sein Workout hat und seine eigentlich kohlenhydrathaltige Post-Workout-Mahlzeit erst nach 18.00 Uhr verzehren könnte.
Ist es besser in diesem Fall auf die Kohlenhydrate zu verzichten?
Ihr seht, alleine meine kleine Einleitung beinhaltet eine Menge Widersprüche und wirft mindestens genauso viele Fragen auf. Ich werde daher im folgenden Text eine der oben genannten Ernährungsweisheiten einmal kritisch unter die Lupe nehmen: „Keine Kohlenhydrate ab 18.00 Uhr“
Viel Spaß
Makronährstoff Kohlenhydrate
Allgemein
Kohlenhydrate liefern den größten Teil der pflanzlichen Biomasse. Zusammen mit Fetten und Protein gehören Kohlenhydrate zu den sog. Makronährstoffen und stellen somit einen der größten energetisch verwertbaren Anteile der Nahrung dar. Die zentrale Rolle der Kohlenhydrate ist deren Funktion als Energieträger. Jedes Gramm liefert 4,1kcal. Kohlenhydrate sind es zudem, die hauptsächlich für die Ausschüttung des anabolen Hormons Insulin verantwortlich sind. (Blutzucker)
Fazit
Kohlenhydrate fungieren hauptsächlich als Energieträger und beeinflussen das Insulinaufkommen
Einteilung und Unterscheidung
Die große Gruppe der Kohlenhydrate kann unterteilt werden in Monosaccharide, Disaccharide, Oligosaccharide und Polysaccharide mit dem hier wichtigsten Vertreter der Stärke. Je nach Art des Kohlenhydrats muss unser Verdauungstrakt unterschiedlich viel Arbeit leisten um den Übertritt vom Darm ins Blut zu ermöglichen da dies nur als Monosaccharid (Einfachzucker) möglich ist. Mit dem unterschiedlichen Aufwand dauert es natürlich auch unterschiedlich lange bis der beschriebene Übertritt stattfindet.
Fazit
Kohlenhydrat ist nicht gleich Kohlenhydrat. Je nach Art hat unser Verdauungssystem mehr oder weniger Arbeit um diese für den Übertritt ins Blut vorzubereiten
Futter fürs Gehirn und den anaeroben Stoffwechsel
In Ihrer Funktion als Energielieferant haben Kohlenhydrate einen nicht unbedeutenden Einfluss auf unseren Körper.
Einige Einrichtungen unseres Körpers sind ausschließlich auf die Versorgung mit Kohlenhydraten angewiesen und heißen darum auch glukoseabhängige Systeme. Der größte Verbraucher dieser Gruppe ist die menschliche Schaltzentrale, das Gehirn, dessen Versorgung für unseren Körper absolute Priorität hat.
Die sonstige Energiegewinnung in den Mitochondrien (den Kraftwerken unserer Zellen) läuft aerob unter Zuhilfenahme von Sauerstoff über Fettsäuren. Kann nicht genug Sauerstoff über den Lungenkreislauf bereitgestellt werden da die energetische Anforderung zu hoch, ist werden im sog., anaeroben Bereich wiederum Kohlenhydrate verstoffwechselt.
Kontrovers
Eigentlich ein Widerspruch: Das Gehirn hat für unserem Körper oberste Priorität einerseits, kann aber nur über Kohlenhydrate versorgt werden andererseits. Natürlich ist es nicht ganz so, sonst hätte es mit der Welle der Diät von Dr. Atkins eine Menge Hirntote gegeben. Im Falle einer länger anhaltenden Kohlenhydratarmut bedient sich unser Körper der verstärkten Umwandlung von Fettsäuren zu sog. Ketonkörpern. Sie können anders als Fettsäuren die Blut-Hirn-Schranke überwinden und so als Ersatzenergiesubstrat eingesetzt werden.
Fazit
Kohlenhydrate dienen als Energiesubstrat für hohe Energieanforderungen einerseits, fungieren aber auch als ständiger Energielieferant für glukoseabhängige Systeme.
Speichermöglichkeiten
Anders als bei Fettsäuren und derer nahezu endlosem Speichermöglichkeit in den Adipozyten können Kohlenhydrate in Ihrer Speicherform Glykogen nur an 2 Orten gespeichert werden. Die Leber hat Platz für etwa 110g (Leberglykogen), In der Muskulatur ist abhängig vom Aufkommen an Körperzellmasse (BCM) Platz für nochmals etwa 300g (Muskelglykogen). Ohne die wenigen Gramm Glucose die ständig im Blut schwimmen in diese Rechnung mit einzubeziehen sprechen wir von in etwa 1681kcal energetischer Maximalreserve aus Kohlenhydraten.
Fazit
Die Speichermöglichkeit für Kohlenhydrate in unserem Körper ist begrenzt. Da zu viel Zucker aber dennoch aus unserem Blut befördert werden muss um unsere Gefäße nicht zu schädigen, kann ein Überaufkommen an Glucose auch in umgewandelter Form in unseren Adipozyten abgelegt werden. Kohlenhydrate wandeln sich also wenn man so will bei einem Überaufkommen in Fett um.
Warum abends keine Kohlenhydrate mehr?
Da nun alle Grundkenntnisse zum Thema Kohlenhydrate aufgefrischt sind, ist es an der Zeit zu ergründen wie es zu einer derartigen Vorgabe wie „Abends keine Kohlenhydrate“ oder „Ab 18 Uhr keine Kohlenhydrate“ kommen kann und ob dieser Leitspruch der Ernährungsszene tatsächlich Gültigkeit hat.
Hormone
Auf Seiten der Hormonverläufe im Rahmen des Biorhythmus kann ich mir keinen möglichen Grund ausmalen der dazu führen könnte, Kohlenhydrate explizit ab 18.00 Uhr zu verbieten.
Wer Kohlenhydrate kurz vor dem Schlafen gehen verzehrt sorgt im Zuge dessen für die Ausschüttung von Insulin. Wenngleich die Studienlandschaft hier nicht eindeutig ist und es mit Sicherheit enorm auf die genaue Uhrzeit, die Art und die Menge der verzehrten Kohlenhydrate ankommt, besteht zumindest die Möglichkeit, dass dadurch die nächtliche Ausschüttung von Wachstumshormon (HGH) negativ beeinflusst wird. Da die nächtliche Wachstumshormonausschüttung entscheidend an der Muskelproteinsynthese beteiligt ist, sollte dies natürlich tunlichst vermieden werden.
Fazit
Kohlenhydrate vor dem zu Bett einzunehmen kann in bestimmten Fällen die nächtliche HGH-Ausschüttung störe. Sie nach 18 Uhr schon nicht mehr zu verzehren macht diesbezüglich keinen Sinn
Insulinsensibilität
Was die Insulinsensibilität angeht, unterliegt diese durchaus Tagesschwankungen. Beeinflusst von der nächtlich starken Wachstumshormonausschüttung sind unsere Zellen in den Morgenstunden etwas resistenter gegen Insulin, verständlich da unser Körper wie oben genannt immer versucht genug Glucose im Blut zu haben um das Gehirn damit zu füttern. Wenn Glucose schlechter in die Zellen gelangt verbleibt es eher im Blut und steht so als schnelle Energiequelle zur Verfügung. Gegen Abend oder besser gesagt ab 18.00 Uhr gibt es für unseren Körper jedoch keine derartige Veranlassung für eine Absenkung der Insulinsensibilität, weshalb davon auszugehen ist, dass abends nicht signifikant mehr oder weniger Insulin für die Einschleußung von Kohlenhydraten notwendig ist als gegen Mittag.
Fazit
Die Einnahme von Kohlenhydraten ruft abends nicht mehr Insulin auf den Plan als zu einer anderen Tageszeit
Kohlenhydratbedarf
Früher hat ein Gros der Menschheit seinen Lebensunterhalt damit verdient körperlich zu arbeiten. Etwa gegen 18.00 Uhr hat man möglicherweise den „Feierabend“ eingeläutet und mit ihm auch die Veranlassung für die Einnahme von Kohlenhydraten für nicht mehr notwendig erachtete da sich der Verbrauch ab dieser Zeit entsprechend reduziert hat.
EINE MÖGLICHE THEORIE
Tatsächlich ist es so, dass je mehr wir uns Richtung Nacht und körperlicher Inaktivität begeben unser Körper natürlich auch weniger Kohlenhydrate verstoffwechselt. Nachts wenn wir schlafen werden generell weniger Kalorien verbrannt (Grundumsatz). Der Anteil an Kohlenhydraten beträgt davon lediglich ca. 25% und fällt damit relativ gering aus. Das dem so sein muss, zeigt alleine schon die Kapazität der Glykogenreserven auf die unser Körper bei Bedarf nachts zugreifen kann. Einmal in der Muskulatur eingelagertes Glykogen kann nicht mehr gegen Blutzuckermangel eingesetzt werden. Was bleibt sind lediglich hepatische Speicher.
Fazit
Wer abends regelmäßig Kohlenhydrate trotz ausbleibendem Bedarf verzehrt riskiert damit die Einlagerung überschüssiger Energie in die Adipozyten
Keine Kohlenhydrate zum abendlichen Training?
Geht also alles seinen gewohnten Gang, sprechen zumindest einige Gegebenheiten dafür, Kohlenhydrate abends eher zu meiden. Wie sieht es aber nun bei den Sportlerinnen und Sportlern aus, die erst gegen Abend trainieren können, vielleicht gar sogar nach 18.00 Uhr? Sollen auch Sie Kohlenhydrate meiden?
Fest steht, dass sich in Verbindung mit intensivem Krafttraining einiges im Körper ändert. Besonders interessant für das Thema Kohlenhydrate wäre da natürlich zum einen der Bedarf der sich wieder erhöht, zum anderen verändert sich mit Training auch die Insulinsensibilität der in die sportliche Betätigung involvierten Muskelzellen während die Insulinsensibilität der Fettzellen sich nicht verändert. Unterm Strich wird für die nach dem Training konsumierten Kohlenhydrate deutlich weniger Insulin zur Einschleusung benötigt UND Kohlenhydrate erfüllen besonders nach dem Training zugeführt wichtige Aufgaben wie beispielsweise die Reduzierung des Aufkommens von AMPK welches sich hemmend auf die Proteinsynthese auswirkt. Die zugeführten Kohlenhydrate werden in Verbindung mit Training auch die nächtliche Wachstumshormonausschüttung nachts weitaus weniger beeinflussen, da wie bereits angedeutet weniger Insulin produziert wird. Als noch geringer ist der Einfluss zu bewerten wenn man sich nicht unmittelbar nach der Post-Workout-Mahlzeit schlafen legt.
Fazit
Auch wenn das Krafttraining erst abends stattfindet machen Kohlenhydrate im Anschluss danach durchaus Sinn
Resümee
Kohlenhydrate dienen dem Körper hauptsächlich als Energieträger, besonders für die sog. glukoseabhängigen Systeme zu denen auch unser Gehirn zählt. Die Speichermöglichkeiten für Kohlenhydrate sind begrenzt, weshalb man bei einem Überaufkommen immer mit der Einschleusung in die Fettzellen rechnen muss.
In der Tat gibt es einige Gründe, Kohlenhydrate in den Abendstunden zu vermeiden. Die bekannte 18.00Uhr-Regel entbehrt jedoch jeglicher Grundlage. Diese festgelegte Uhrzeit scheint aus der Luft gegriffen oder aus veralteten Gegebenheiten entstanden zu sein.
Für Trainierende gilt:
Egal wann….Nach dem Training gehören Kohlenhydrate auf den Tisch!
Sportliche Grüße
Euer
Holger Gugg
Quellen
http://www.apotheken-umschau.de/kohlenhydrate
HBN – Human Based Nutrition – Holger Gugg (nicht veröffentlicht)
http://aesirsports.de/2012/10/bb-mythbuster-kohlenhydrate-abend-wachstumshormonausschuttung/